Samstag, 2. April 2016

3. Hospitation: Waldorfschule Wiesbaden

Mittwoch, der 2. März 2016


Mit den lieblichen Klängen eines zu laut eingestellten Handy-Weckers wurde unser Tag an der Waldorfschule Wiesbaden eingeläutet. Durch ein kurzes, aber erfrischendes Frühstück wieder als Menschen zu erkennen machten wir uns auf den Weg in die uns zugeteilten Klassenzimmer.

Zwei der Gefährten berichten nun von ihrer Reise:

Die sechste Klasse begann ihren Tag mit dem sogenannten Epochenunterricht: 1,5 Stunden, die mit verschiedenen Inhalten zu den Themen „Untergang des Römischen Reiches“ und „Ausbreitung des Christlichen Glaubens“. Eingeleitet wurde der Unterricht mi einer gemeinsamen Begrüßung, im Anschluss haben die SchülerInnen ein Morgenlied, einen Morgenspruch und Zeugnissprüche zum Besten gegeben. Thematisch wurde die Stunde mit einem weiteren Lied eingeleitet, welches sich mit einer wilden Horde beschäftigte, was als Anlass genutzt wurde, um über die Hunnen und die Völkerwanderung zu reden. Auch wenn die SchülerInnen mit dem Text des Liedes aufgrund der Brutalität Probleme hatten, wurde diese Art des Einstieges für die inhaltliche Behandlung des Themas freudig angenommen.
Nach dem Hauptunterricht (=Epochenunterricht) wurde die Klasse in zwei Gruppen aufgeteilt, demzufolge konnte nur noch ein Teil der Klasse weiterhin begleitet werden. Vor dem Hospitieren im zweiten Block wurden die Lernreisenden noch mit einer hervorragenden Stärkung in der Mensa beglückt.
Der Gartenbau-Unterricht fand in einem ausgeprochen charmanten, rustikalen Haus statt, welches sich neben dem Gewächshaus der Schule befand. Hier wurden die SchülerInnen an die Besonderheiten von Kräutergärten herangeführt, indem sie sich eigene anlegen sollten. Das praktische Arbeiten schien den SchülerInnen wirklich Spaß zu machen und sie engagierten sich sehr, um gute Ergebnisse zu erzielen. Den SchülerInnen wurde immer wieder bewusst gemacht, dass ihre Erzeugnisse in der Schulmensa Verwendung finden werden, was ihnen offensichtlich viel Freude bereitete. Zum Abschluss der Stunde bekamen die SchülerInnen sogar noch die Chance, von den Lehrkräften hergestellte Apfelringe zu probieren. Dies war wohl ein Ritual, welches die SchülerInnen am Ende jeder Stunde erleben dürfen.
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In der zweiten Klasse wurde jeder Schüler und jede Schülerin bei Betreten des Klassenzimmers per Handschlag von der Lehrerin begrüßt. Nach einem Frühlingslied zur Einstimmung durften vier SchülerInnen nach vorne kommen und ihren Zeugnisspruch aufsagen. Anschließend forderte die Lehrerin alle SchülerInnen, die etwas Spannendes erlebt hatten oder diese Woche noch erleben würden, auf, nach vorne zu kommen. Nacheinander durften sie sich auf einen kleinen Hocker stellen und in einem Satz erzählen, was sie bewegte. Besonders gefiel es uns HospitantInnen, dass jede Aussage ernst genommen und als wichtig angesehen wurde, auch wenn es sich beispielsweise „nur“ um einen Kinobesuch handelte. Danach wurden die Blockflöten herausgeholt und die ganze Klasse, angeleitet von der Lehrerin, stimmte ein Lied ein. Später wurde uns erklärt, dass das Flötenspielen vor allem als Fingerübung dienen solle.
Nach einem weiteren Lied, diesmal zum Thema Ostern, begann der (eigentliche) Epochenunterricht; diese Klasse beschäftigte sich gerade mit dem Einmaleins. Durch Ratespiele und weitere Lieder verflog die Zeit schnell und zum Schluss durften wir noch eine kurze Geschichte hören, bevor wir alle in die Pause entlassen wurden.
Nach einem stärkenden Frühstück in der Mensa begleitete ich eine Hälfte der Klasse in den Handarbeitsunterricht. Im ersten Teil der Stunde wurde gehäkelt: die SchülerInnen hatten ihre Ideen bereits zu Papier gebracht und waren dabei, sich einen Schatzbeutel zu häkeln. Besonders beeindruckt war ich, als ich sah, dass einige schon mit dem nächsten Projekt angefangen hatten: Die Sommerhüte, die einige Kinder schon fast fertig gearbeitet hatten, waren wirklich gut gelungen.
Als die Kinder langsam unruhiger wurden, wechselte die Lehrerin die Aktivität. Das Häkelzeug wurde weggeräumt und alle SchülerInnen fertigten Wachsmalbilder an, die daraufhin überbügelt wurden. Anschließend trafen wir uns zum Mittagessen in der Mensa und setzten uns im Klassenzimmer mit Frau Fischer und Herrn Wasser zusammen, um unsere Interviewfragen zu stellen und mehr über die Waldorfschule Wiesbaden zu erfahren.

Nachdem die Lernreisenden in der Mensa ein abwechslungsreiches Mittagessen erhalten haben, haben sie sich mit zwei Vertretern der Schule zu dem obligatorischen Post-Hospitations-Interview getroffen. Dabei ist zu erwähnen, dass diese Waldorfschule keine typische Schulleitung hat, sondern von den Lehrkräften in Kombination mit Eltern im Prinzip basisdemokratisch verwaltet wird.
Bei dem Gespräch wurde klar, mit welch starren Vorurteilen diese Schulform zu kämpfen hat, da die Lehrkräfte zu Beginn unseren Fragen noch recht misstrauisch gegenüberstanden. Als wir aber unser aufrichtiges Interesse gezeigt hatten, lockerte sich das Gespräch merklich und wir erhielten einen echten Einblick in die Arbeitsweise, die in dieser Waldorfschule Verwendung findet. So haben wir zum Beispiel folgendes erfahren: 
  • Ein Klassenlehrer ist wie ein "Universaldilettant", das heißt, er hat an allem Spaß, was er mit den SchülerInnen durchnimmt. Schließlich übernehmen die Klassenlehrer in der Waldorfschule immer die ersten Unterrichtsstunden des Tages und müssen dabei ein unglaublich großes Themenfeld abdecken und den SchülerInnen nahe bringen.
  • Die Schriften und die Lehren, die Steiner in diesen weitergegeben hat, von Steiner dienen als Orientierung und nicht als (strikte) Vorgabe. Steiner schuf eine Verbindung aus Naturwissenschaft und Religion. Der daraus entstandene Waldorf-Lehrplan geht davon aus, dass bestimmte Themen die Kinder in ihrer Entwicklung in einem bestimmten Alter fördern, weil eben diese Themen, die momentane Lebenswelt der Kinder betreffen. Das heißt, das Lernen bzw. die Inhalte, die vermittelt werden (sollen), orientieren sich sehr an den Kindern bzw. an ihrer Entwicklung.
  • Zu den Werten, die den SchülerInnen im Laufe ihres Schulbesuchs vermittelt werden sollen, gehören (unter anderem): Interesse wecken, um die natürliche Neugier jedes Kindes zu unterstützen und zu bewahren, und einander zuhören, was in jedem Bereich des Lebens essenziell ist, um Probleme zu vermeiden und/oder zu lösen.
  • Auf die Frage, was die Ausbildung haben sollte, gab es drei Antworten, die mir besonders präsent im Gedächtnis geblieben sind, und zwar (vor allem) viel Praxis, (mehr) Zeit und Authentizität
Nach dem Gespräch haben wir unser ganzes Gepäck auf die Autos verteilt und den Raum, in dem wir übernachtet und das Interview geführt hatten, wieder in seinen Ursprungszustand versetzt. Bevor wir uns jedoch endgültig auf den Weg zur nächsten Stadt gemacht haben, haben wir auch diesmal ein kleines "Spiel" durchgeführt, um unsere Fahrgemeinschaften wieder ein bisschen durchzumischen. Diesmal haben die Mitfahrer sich nach Hausnummer aufgestellt und wurden dann nach und nach den Autofahrern zugeordnet. Dann ging es auch schon los in Richtung Biberach (an der Riß), zur Mali-Schule. Die Autofahrt haben wir uns mit ein paar Nickerchen, vielen Gesprächen und noch mehr Musik versüßt. In Biberach sind wir nach und nach eingetrudelt und wurden herzlich vom stellvertretenden Schulleiter in Empfang genommen. Von ihm wurden wir auch kurz durch das Gebäude (oder zumindest zu den vorerst relevanten Stationen wie unser Schlafgemach, die Toiletten und die Küche) geführt. 
Jede Menge Zutaten, damit alle ihre Traum-Tortilla zaubern können
Danach haben wir unsere Sachen aus den Autos in das Lernatelier, in dem wir übernachtet haben, getragen, um daraufhin das Abendessen vorzubereiten. Bei Musik und Tortillas mit allerlei Kleinigkeiten zum Belegen haben wir ein schönes gemeinsames Essen verbracht. Abgeschlossen haben wir wie immer mit einer Teamsitzung, um den Tag Revue passieren zu lassen, etwaige "Probleme" ansprechen zu können und uns mental auf den folgenden Tag einzustimmen. Neben den Fragen, was uns heute besonders gut gefallen hat und woran wir morgen noch arbeiten wollen, haben wir auch noch Fragen und/oder Themen auf Post-its geschrieben und diese geclustert, da wir das in der Waldorfschule auf später (als abends) verschoben haben. Mit vielen neuen Gedanken und Erfahrungen und vor allem mit jeder Menge Vorfreude auf den nächsten Tag sind wir schließlich schlafen gegangen. 
 
P.S.: Vielen Dank für die Beiträge von Alina und Christian. 

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